generische Planung

spezifische Planung

Die Veränderung der Stadtblöcke und des Verkehrs werden in diesem Plan in unterschiedlichen Abschnitten gezeigt.

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Entwurf eines autofreien Münchens

am Beispiel der Schwanthalerstraße

Michelle Hagenauer, Annika Hetzel,

Magdalena Schmidkunz, Linus Schulte,

Maximilian Steverding, Markus Westerholt

Fehler der Vergangenheit vermeiden

Es ist unmöglich aus allen Fehlern der Vergangenheit zu lernen und trotzdem sollten wir es versuchen. Als Architekt handelt man stets im zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext. Man versucht Antworten auf drängende Fragen zu finden und übersieht dabei wichtige Zusammenhänge, Folgen, Probleme, Themen... Der Blind Spot des einzelnen und einer Gesellschaft mag in der Natur der Sache liegen und ist deshalb allgegenwärtig. Umso wichtiger ist es Blind Spots bzw. Fehler der Vergangenheit zu erkennen und sie zu vermeiden. Hier ein Versuch:

Was wir aus der autogerechten Stadt lernen können. Denkt man über eine autofreie Stadt nach, so ist es wichtig, die Beweggründe einer autogerechten Stadt zu verstehen. In der Moderne war man im Vergleich zu heute mit schlechten hygienischen Bedingungen und starker Armut in den Städten konfrontiert. Als ein Problem sah man die historisch gewachsene Stadt mit ihren engen Straßen und Gassen und als Lösung die funktionsgetrennte Stadt unter dem Leitbild „Luft, Licht, Sonne“.

»Der auf den Verkehr reduzierte Straßenraum unter- drückt das Potential der Stadtblöcke. Der generische Straßenraum schöpft das spezifische Potential der Stadtblöcke und bringt es auf die Straße.«

Die Trennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr wurde letztendlich durch das Automobil ermöglicht. Diesem technischen Fortschritt stand man aus diesem Grund optimistisch gegenüber und forderte deshalb auch den ungehinderten Verkehrsfluss für das Auto. Es ist naheliegend, dass man nach dem zweiten Weltkrieg in der sogenannten Stunde Null die Chance sah, zerstörte Städte dementsprechend umzugestalten. In München konnten viele Planungen dahingehend nicht durchgesetzt werden. Dies verdankt man Münchens konservativer Haltung. Heute ist man darüber sehr dankbar, da man autogerechten Planungen kritisch gegenüber steht. In Städten begegnen uns überwiegend die Nachteile des hohen Anteils des motorisierten Individualverkehrs: Immissionen, Stau, fehlende Sicherheit, Bewegungsmangel, fehlende Nachbarschaften – vielleicht der damalige Blind Spot der Fachwelt. Trotz des heutigen Wissens darüber fällt es uns schwer, sich von dem modernen Paradigma zu lösen.

 

Der deutsche Historiker Van Laak beschreibt dies als „Zirkulativen Imperativ“: „Handle so, dass die Geschwindigkeit deines Fortkommens niemanden hindert, genauso schnell oder schneller zu sein“. Denkt man darüber nach, merkt man, wie sehr dieser Leitsatz in unserem Alltag gilt, ohne sich das jemals bewusst gemacht zu haben.

Als Kind lernt man sehr schnell dem Auto zu weichen und dessen Fahrt nicht zu blockieren. Um den freien Fluss zu gewährleisten, ist die funktionale Trennung von Verkehrsmitteln naheliegend. Jedoch erfolgt diese Trennung der Straße bis heute ungleich. Während dem motorisierten Individualverkehr ein Großteil des Raums zur Verfügung steht, bleibt dem Fußgänger und Radfahrer kaum Fläche. Wegen dieser Ungerechtigkeit wird heute zunehmend die Stärkung des Radverkehrs gefordert. Als emissionsfreies und gesundheitsförderndes Verkehrsmittel ist die Radverkehrsförderung durchaus positiv zu bewerten. Trotzdem dürfen sich die Fehler der autogerechten Stadt nicht wiederholen, indem man eine fahrradgerechte Stadt baut. Stau bleibt Stau – egal ob im Auto oder auf dem Rad. Natürlich ist das Fahrrad bei weitem nicht so flächenintensiv wie das Automobil und allemal schonender für die Umwelt. Trotzdem widerstreben flächendeckende Fahrradschnellwege und -brücken dem eigentlichen Potenzial einer autofreien Stadt, das darin besteht, die Straße im ersten Schritt als generischen Raum fern von Verkehr zu betrachten. Lasst uns die Straße zuerst als öffentlichen Raum begreifen und Qualitäten entdecken, die durch die autogerechte Stadt verloren gegangen sind. Welche Begegnungen finden dort statt? Welche Nutzungen sind auf der Straße denkbar? Was passiert demzufolge auf der Schwanthalerstraße?

Südliches Bahnhofsviertel

Die Schwanthalerstrasse wird in vier Phasen zu einer autofreien Strasse transformiert. Diese Transformation dauert 8 Jahre von 2020-2027.

Westend

Auch der Westendbereich wird mit den gleichen Phasen zu einer autofreien Strasse transformiert.

Arrival city

Zwischen Ankommen und Aufbrechen

Der Begriff Arrival City, zu deutsch Ankunftsstadt, beschreibt einen von Migranten selbst geschaffenen Übergangsort innerhalb bereits bestehender Städte. In Zeiten großer Zuwanderungsraten nach Deutschland sind Ankunftsstädte für eine Vielzahl von Migranten besondere Orte. Sie bieten eine erste Anlaufstelle mit einem Netzwerk von bereits integrierten Migranten. In einer funktionierenden Arrival City haben Neuankömmlige Chancen auf einen Arbeitsplatz, günstigen Wohnraum und dadurch die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs.

 

Entgegen der öffentlichen Meinung sind Migrantenviertel nicht zwangsläufig Orte der sozialen Ausgrenzung und Verelendung, sondern können vielmehr Durchlauferhitzer des sozialen Aufstiegs und Hotspot urbaner Innovationen sein. Ob Migration funktioniert oder nicht, hat wenig mit kulturellen Klüften oder religiösen Gegensätzen zu tun. Die städtebauliche Organisation und Gestaltung spielt vielmehr eine entscheidende Rolle. Scheitert eine Arrival City, kann sie sich zum sozialen Brennpunkt entwickeln. Blüht sie hingegen auf, wird die Arrival City zur Geburtsstätte einer neuen Mittelschicht, einer stabilen Wirtschaft und einer bunten Stadtgesellschaft. Die Ziele der Neuankömmlinge sind - egal aus welchem Land sie stammen oder in welche Stadt sie gehen - die gleichen. Doch ob sie Arbeit finden, soziale Netzwerke aufbauen, ihren Kindern Schulbildung und eine Zukunft ermöglichen können, hängt stark davon ab, ob die Stadt auf sie vorbereitet ist.

 

Das südliche Bahnhofsviertel in München zeigt mit seinem hohen Anteil migrantischen Lebens Charakteristika einer Arrival City. In der kleinteiligen Erdgeschosszone wird bereits das niederschwelliges Angebot der Selbstständigkeit von vielen Migranten angenommen. Die freiwerdenden Flächen, die das Auto mit seinem Verschwinden hinterlässt, kommen in Zukunft den Ausbau und der Stärkung einer aufnahmefähigen Arrival City zugute.

Produktive Innenhöfe

Die Höfe der Arrival City werden mit dem Verschwinden des Autos zu Orten der urbanen Produktion. Emissionsarmes Gewerbe und Handwerk zieht zurück in die Stadt und bietet wichtige Arbeitsplätze und Orte der Selbstständigkeit, die für eine funktionierende Arrival City essentiell sind. Die Hofdurchfahrten werden miteinander verknüpft und bilden Passagen. Dadurch wird die Fußläufigkeit des Quartiers erhöht. Die Pas- sagen bieten zusätzlich Schaufensterfläche um die Produkte der Öffentlichkeit zu präsentieren. Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft werden lokale Ressourcen verwendet und die lokale Wertschöpfungskette und Stadtökonomie gestärkt.

House of Arrival

Das ehemalige Parkhaus in mitten der Stadtblocks wird im Sinne einer funktionierenden Ankunftsstadt zum House of Arrival umgebaut. Dieser Sozialraum fungiert als erste Anlaufstelle für Neuankömmlinge und berät zu Fragen des alltäglichen Lebens im neuen Heimatland.

 

Ein Kran stockt die einstige Typologie der autogerechten Stadt mit vorgefertigten Wohnmodulen auf und ist damit Symbol für die sich stetig ändernde Arrival City. Die vier Stockwerke des Parkhauses können in Eigenleistung zu Arbeits- und Verkaufsfläche umgebaut werden. In der extensiv begrünten Aufstockung bietet genossenschaftliches Wohnen und geförderter Wohnungsbau der Arrival City den dringend benötigten günstigen Wohnraum an.

Kleinteilige Erdgeschosszone

Die günstigen Mieten in kleinteiligen Gewerbeflächen im Ergeschoss bieten einen niederschwelligen Anreiz zur Selbstständigkeit und sind besonders wichtig für die Arrival City. Zudem bedingt sich die Kleinteiligkeit und die Fokussierung der Fußgänger gegenseitig. Während das Automobil als ein Gleichmacher fungierte, bietet die autofreie Stadt die Chance die Individualität der Straßenzüge wiederzugewinnen. Die EG-Zone, als Erweiterung der Erdgeschosse, zeigt die verschiedenen Nutzungen und macht das heute teilweise Versteckte sichtbar.

Kaufhaus der Ideen

Die Zeit der großen Kaufhäuser, als eine Typologie der autogerechten Stadt, ist vorbei. Der Einzelhandel hat sich vor dem Hintergrund des Online-Handels und der Individualisierung stark verändert. Heute steht eher das Erlebnis im Mittelpunkt als das Konsumieren an sich. Räumlichkeiten großer Einzelhandelsketten können aus diesem Grund zu temporären Shops, Ausstellungs- und verschiedenen Eventräumen umgenutzt werden. Das Kaufhaus der Ideen übernimmt auch eine besondere Rolle, sowohl räumlich als auch funktional. Zwischen der Arrival City und der Kaufingerstraße, Münchens wichtigste Einkaufstraße, fungiert es als ein Ort des Austausches.

Settled City

Gelebte Gemeinschaft

Die Settled City als städtisches Quartier ist ein gut funktionierendes Stadtviertel, welches sich aus dem Korsett an Zwängen, Regeln und Grenzen befreit hat, um in seinem vollen Potential aufzugehen. Häufig verhindern örtliche Gewohnheiten die Entwicklung und das wahre Aufblühen auf den ersten Blick bereits gut funktionierender Quartiere. Die bereits existierende soziale Gemeinschaft in eine räumliche Gemeinschaft zu überführen ist die transformative Kraft der Settled City.

 

Der Bezirk Schwanthalerhöhe entstand im 19. Jahrhun- dert als gründerzeitliches Arbeiterviertel durch die Ansiedlung von Industrie in unmittelbarer Nähe. Durch einen hohen Anteil genossenschaftlicher Wohnbauten konnte sich bis heute die gemeinschaftliche Sorge um das eigene Heim und seine unmittelbare Umgebung bewahren.

 

Die Erdgeschosszone wird überwiegend als Wohn- oder Arbeitsraum verwendet. Gleichzeitig decken kleine Geschäfte den Bedarf des täglichen Lebens in fußläufiger Entfernung. Ergänzt durch das gastronomische Angebot von Szene-Cafés und Bars, Imbissen und Restaurants entwickelte sich hier be- reits ein kleinmaßstäbliches aber lebendiges Quartier.

 

Dennoch sind auch hier die raumplanerischen Auswir- kungen des Autos zu spüren. Der Gegensatz zwischen Straße und Block ist vor allem in der Erdgeschosszone, die dem Wohnen zugeschrieben ist, bruchhaft. Die Straße wird hier auf ihren transitorischen Wert reduziert. Die Versiegelung von möglichem Raum der Aneignung setzt sich im Hinterhof fort. Die Höfe, nur getrennt durch die Grundstücksmauern, unterliegen fast ausschließlich dem ruhenden Verkehr. Die räumlichen, aber auch inhaltlichen Brüche der baulichen Strukturen setzen sich auch gemeinschaftlich fort. Der Hof als archetypischer Hort der Gemeinschaft zerfällt in Kleinstparzellen. Der genossenschaftliche Charakter schafft es nicht bis über die Türschwelle des Hauses. Dabei bieten gerade die durch den Wegfall des Autos freiwerdenden Flächen das Potential die Bänder der Gemeinschaft und der Nachbarschaft über den Gartenzaun hinweg zu knüpfen. Gleichzeitig wird der monochromatische Gegensatz von schwarz - Haus und weiß - Straße in ein buntes und lebendiges Miteinander aufgelöst.

Passagen

Um den Gegensatz von der öffentlichen Straße und dem privaten Grundstück aufzulösen werden die Autoeinfahrten zu semi-privaten Zugängen der Höfe umgestaltet. Erst durch die Aufwertung der Zugänglichkeit ist die Nutzung des Hofes wirklich attraktiv. Gleichzeitig entsteht eine Fußläufigkeit abseits der Straße, die sich durch den semi-privaten Charakter allerdings erst für den eingeweihten Bewohner erschließt. Bietet der Hof als solcher das Potential als Identifikationsraum, wird die Identifikation erst durch den scheinbar exklusiven Charakter der Zugänge generiert.

Höfe

Nach dem Wegfall des Autos besteht keine Notwendigkeit mehr für eine großflächige Versiegelung der Innenhöfe. Durch den Aufbruch des Hofbodens und die Begrünung der Innenhöfe entstehen nicht nur großflächige Retentionsflächen, sondern auch Orte der Naherholung.

 

Vielfältige Raumangebote bieten sich zur gemeinschaftlichen Aneignung durch Urban Gardening, als Spielfeld für die Kinder aus dem Stadtblock, oder einfach nur zum Buchlesen oder Kaffee-Trinken an. Der vielfältig nutzbare begrünte Innenhof bietet Raum für Gemeinschaft über die eigenen vier Hauswände hinaus und schafft einen Ort der Begegnung außerhalb des eigenen Treppenhauses.

Participation

Zusammen zur autofreien Stadt

Bürger an der Gestaltung der Stadt teilhaben zu lassen ist Ziel der Partizipationskonzeptes Münchens. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Eine konfliktlose Umsetzung großer wie kleiner städtebaulicher Interventionen kann nur unter Berücksichtigung aller Interessen und frühzeitiger Aufklärung aller Beteiligten gelingen. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis der Bürger, sich selbst aktiv handelnd oder passiv beratend in die Gestaltung ihrer Stadt einzubringen. Das enorme Potential dieses Katalysators für kreativen und pluralen städtischen Umbau kann dabei nicht überschätzt werden.

 

Um die Tatkraft aller Beteiligten am gewinnbringensten nutzen zu können entwickelt die Stadt unterschiedliche Strategien und Kanäle der Partizipation, die je nach Aufgabe oder Planungssachverhaltes gewählt werden können. Entsprechend der städtischen Organisationsform unterteilt sich die Planung in die generische Planung der Infrastruktur und der spezifischen Planung konkreter Situationen. Die generische Planung bildet die übergeordnete Strukturierung des Straßenraumes sowie infrastruktureller Netze ab. Die spezifische Planung entbirgt den Charakter des jeweiligen Quartiers und intensiviert es, indem der Charakter aus dem Stadtblock auf die Straße transportiert wird.

Die gewählte Form der Partizipation für generische Planungsvorhaben ist die Beteiligung. Sie bindet durch unterschiedliche städtische Akteure unmittelbare Anwohner des Vorhabens wie auch die interessierte Allgemeinheit in Planungsprozesse ein. Dabei versucht sie Planungsstände und Prozesse zu vermitteln wie auch Bedürfnisse und Anregungen in Workshops oder im persönlichen Gespräch mit Bürgern abzuholen.

 

Im Zuge der spezifischen Planung tritt das Konzept der Aneignung auf. Kleinräumlich im Quartier verortete Projekte werden nicht direkt durch die Stadt und ihre Referate geplant sondern entstehen mit Unterstützung und reglementierter Rahmenbedingungen der Stadt durch die Förderung von Vereinsinitiativen und engagierten Bürgern. Dabei springen die Maßstä- be und Bedürfnisse der Planung von Projekt zu Projekt um dem Vielfältigen Charakter der Anwohner einen vielfältigen städtischen Ausdruck gegenüber zu stellen.

sozialRaum

Ob eine Geburtstagsfeier, das Treffen eines Seniorenvereins oder der Runde Quartierstisch, temporär nutzbaren Raum in einer Großstadt zu finden gestaltet sich oft als schwierige und kostspielige Angelegenheit. Dabei bieten insbesondere solch informelle Treffen und Gemeinschaften das Potential ein Katalysator für Veränderung zu sein. Daher muss eine der grundlegenden Aufgaben für die Aktivierung von bürgerlicher Partizipation sein, bürgerliche Vereinigung zur Verfolgung gemeinsamer Interessen durch die Bereitstellung von niederschwellig zugänglichem Raum zu fördern. Im sozialRaum werden leerstehende Räume als Möglichkeitsraum begriffen und für temporäre Veranstaltungen zugänglich gemacht.

Planungskneipe

Der PlanTreff ist das Hauptinstrument der Stadt München um Bürger in die Entwicklung von Planungsaufgaben einzubinden. Dabei werden sowohl aktuelle Prozesse vermittelt wie auch konkrete oder generelle Stimmungen und Anregungen der Bürger abgeholt und auf die Planung zurückgespiegelt. Der PlanTreff als abstrakte Institution wird im Quartier als Planungskneipe verortet. Im Rahmen des Informellen erhalten die Bürger in ihrem Quartier nicht nur einen neuen bedingungslosen Treffpunkt, sondern ebenfalls die Möglichkeit eines Kommunikationsmodules mit den Planungsreferaten der Stadt. So werden die Bürger an Planungsprozessen der Stadt beteiligt.

Institutionsraum

Durch die Auflösung strikter inhaltlicher Trennungen von Straße als Verkehrsraum und dem Stadtblock als Ort des städtischen Lebens besteht das Potential der Verschneidung von öffentlichem Leben des Stadtblocks mit dem Straßenraum. Im Konkreten materialisiert sich dies in der Aneignung der Erdgeschosszone durch die Erdgeschossnutzung. So vielfältig sich hier die Nutzung darstellt, so vielfältig stellt sich die Aneignung der Erdgeschosszone dar. Bietet sich diese Form der Aneignung nicht zuletzt auch für kommerzielle Kleinunternehmen an, besteht die Möglichkeit für größere Institutionen der Öffentlichkeit sich über die Erdgeschosszone auch über die Aufenthaltszone zu erweitern. Die Kinder der Schule beleben so vormittags einen großen Teil der Straße. Die Schule und die Stadt verschwimmen zu einem Hort des Lernens.

Balkone

Eine unmittelbare Form der Aneignung stellte die vielfältige Ausbildung von Übergangszonen zwischen dem privaten Wohn- und Arbeitsraum, sowie dem öffentlichen Straßenraum dar. Das Private dehnt sich subtil in den Straßenraum aus. Durch Balkone oder die Anlage von Vorgärten entstehen halb-öffentliche, halb-private Räume, die als Übergangszone sowohl Raum der Annäherung zwischeneinander als auch Rückzugsort voneinander sein können. Gleichzeitig durchdringt das Öffentliche den privaten Stadtblock mit semiprivaten Durchgängen und Verknüpfungen und bricht so die strikte Trennung zwischen Block und Straße auf.

Climate Cooling

Der Klimawandel fordert eine autofreie Stadt

Ist eine autofreie Stadt radikal? Die Frage diskutierten wir auch in einem Kritikgespräch unseres Projektes und beantworteten sie mit nein, wahrscheinlich nicht. Bestehende Verhältnisse so zu belassen ist radikal, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Temperaturdifferenz zwischen Stadt und Land bis zu 12°C betragen kann.

 

Es führt kein Weg an einer autoärmeren Stadt vorbei, da der Klimawandel zwangsläufig Flächen für Begrünung und Entwässerung fordern wird. Beides ist notwendig, um in Zukunft ein angenehmes Stadtklima zu gewährleisten und Starkregenereignisse effektiv begegnen zu können. Der private Stellplatz im öffentlichen Raum ist spätestens dann nicht mehr gerechtfertigt. Mit der Verbesserung des Mikroklimas und dem Stadtumbau zu einer klimaresilienten Stadt wird auch die Nachfrage nach Erholungsflächen steigen. Grüne und kühle Freiräume in direkter Wohnnähe sichern die Lebensqualität in unseren Städten und vermeiden zusätzlichen Verkehr im Sinne einer Stadt der kurzen Wege.

 

Heutige Hauptverkehrsachsen können großzügige Grünräume und somit wichtige Erholungsorte für Menschen und Tiere werden. Sie verbinden bestehende, faunistische Habitate und transformieren die Stadt zu einem urbanen Naturraum. Ziel ist es die Stadt als ein Ökosystem zu denken.

 

Großzügiges Grün ist vor allem für Bewohner der innerstädtischen Viertel wichtig. Als städtebauliche Typologie überwiegt dort vor allem die klimatisch ungünstige Blockrandbebauung, wie sie auch in der Schwanthalerstraße vorzufinden ist. Die geschlossene Bebauung weist einen hohen Versiegelungsgrad, einen geringen Anteil an Grün und einen hohen Anteil an thermischer Masse auf. Mehr grüne und blaue Infrastruktur anstelle von verkehrlicher wirkt dem urbanen Hitzeinseleffekt entgegen und sichert die Qualität des öffentlichen Raumes in der Zukunft.

Fassaden- und Dachbegrünung

Die Fassadenbegrünung trägt insbesondere an der Südfassade zur Kühlung des Gebäudes und des Mikroklimas bei. Vor allem im innerstädtischen Kontext ist dies eine platzsparende Maßnahme. Zudem bieten Kletterpflanzen Ruhe- und Fortpflanzungsstätten für Vögel.

 

Im Gegensatz zu den öffentlichen Höfen in der Arrival City bieten die Dachgärten einen halböffentlichen bzw. privaten Rückzugsort. Sie haben im Vergleich zur Fassadenbegrünung einen geringeren Wert für das Mikroklima des Straßenraums, tragen jedoch zur Kühlung des Gebäudes bei und gewährleisten einen Erholungsort für die Bewohner an heißen Sommertagen.

Multifunktionale Retentionsfläche

Retentionsflächen mindern Hochwasserschäden und verbessern durch die Verdunstung das Klima vor Ort. Zudem können die Flächen multifunktional und wetterabhängig genutzt werden. Das Beispiel zeigt ein multifunktionales Rondell, das bei Trockenheit ein Sitzbereich, Bühne und Treffpunkt ist und bei Starkregen Wasser zurückhalten kann.

Stadtwald

Die Zonierung der Schwanthalerstraße in EG-Zone, Flexzone und Aufenthaltszone ermöglicht eine großflächige Entsiegelung sowie das Pflanzen von Gehölzen. Die autofreie Stadt ermöglicht eine dicht bebaute und grüne Stadt zugleich. Mit dem Pflanzen von Bäumen wird nicht nur das Mikroklima verbessert, sondern auch aktiver Klimaschutz betrieben. Entsprechend der Logik des Metabolismus schließt sich ein Kreislauf. Das lokale emittierte CO2 ausgestoßen von den dort Lebenden wird zum Teil direkt von den Bäumen gebunden. Der Stadtwald, bestehend aus schnellwachsenden Ruderalpflanzen, ist zudem Spiel- und Entdeckungsfläche für Kinder, sowie Lebensraum für Fauna. Gerade in der Schwanthalerstraße, die keine bedeutende Windachse für Münschen darstellt, ist das großzügige Pflanzen von Bäumen nur mit postiven Veränderungen verbunden, wie der kühlende Schatten, CO2-Bidung, Sauerstoffproduktion, Schadstoffbindung und durch Entsiegelung der Bauminseln kann der Boden wieder atmen.

Stadtbiotop

Heute werden die Freiräume um das Schwanthalerforum intensiv in Form von Spiel- und Sitzbereichen genutzt. Durch die Transformation der Schwanthalerstraße sowie dem Angebot verschiedener Nutzungen auf dem Dach des Forums, wie Sportflächen, Urban Gardening und Open-Air-Kino, ist die Umgestaltung der Grünflächen möglich. In einer autofreien Stadt wird die Straße wieder zur Spielfläche und Spielplätze abseits des Verkehrs werden obsolet. Sie können andere Funktionen und Nutzungen übernehmen, die nicht mit Stadt assoziiert werden, wie beispielsweise eine Streuobstwiese. Als kulturelles Landschaftsbild sind die Wiesen artenreiche Flächen, die zudem zur Obsterzeugung beitragen und vor Ort vermarktet werden können. Dies führt zu einer höheren Identifikation mit den Lebensmitteln und mit dem Ort. Die autofreie Stadt bietet eine einmalige Chance neue Nutzungen in der Innenstadt zu etablieren und Identifikation mit der Straße und dem Viertel herzustellen.

Entsiegelung

Je nach Zone wird ein unterschiedlicher Versiegelungsgrad gewählt. Der Zonennutzung angepasst wird ein angemessener Pflasterbelag geplant. In der Flexzone, die die höchste Frequentierung erfährt, kann zum Beispiel ein ökologisches und durchlässiges Pflastermaterial gewählt werden, das durch die Offenporigkeit auch bei vergleichsweise hoher Versiegelung eine gute Entwässerung sicherstellt und im Vergleich zum Asphalt die Umgebungstemperatur weniger stark ansteigen lässt. In der Erdgeschoss-Zone ist ein recyceltes Pflaster denkbar. Durch die unterbrochene Linearität in der Aufenthaltszone wird durch die Wahl eines porösen Bodenbelags, wie zum Beispiel eines Rasenfugenpflasters oder extensive Begrünung, eine hohe Aufenthaltsqualität unterstützt.

Die Bauminseln

Die Bauminselflächen unterstützen mit einer Wildblumenansaat die biologische Artenvielfalt wie Vögel, Insekten und Bienen. Zusätzlich bieten sie konsumfreie Sitzplätze im Schatten und bilden kleinere Plätze in der Aufenthaltszone aus, die von der Stadt initialisiert und früh offizialisiert wird. Anschließend haben die Anwohner die Möglichkeit sich diese anzueignen. Angestrebt wird eine heimische Flora, die an trockene und heiße Standorte angepasst ist. Beispiele dafür sind Bäume und Gehölzer der Galk-Straßenbaumliste.